Die Psychologie hinter Clickbaits und Fake News

Josef Sawetz

Wenn Überschriften so formuliert sind, dass Menschen fast zwangsweise auf die damit verbundenen Links oder Vorschaubilder klicken, obwohl sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit rechnen, dass sie von dem darauffolgenden Content enttäuscht werden, spricht man von sogenannten „clickbaits“.

Grundsätzlich ist diese Praxis von animierenden Überschriften, die das Involvement erhöhen und so Neugier und Interesse erwecken, nicht neu. Schon um 1900 war es in der Boulevardpresse – der “yellow press” – gängige Praxis, mit reißerischen und drastischen Headlines die Zeitung zu verkaufen und die LeserInnen zu animieren, die jeweiligen Artikel zu lesen. (Alves et al. 2004).

Als Gestaltungsmittel für die Herstellung von clickbait auslösenden Headlines lassen sich folgende Stilmittel voneinander unterscheiden (Biyani et al., 2016,S. 96, siehe auch Appel, 2020, S. 71):

  • Übertreibung: Falsche Versprechungen durch Überschrift.
  • Teaser: Auslassung von Inhalten.
  • Provokation: Nutzung unangemessener oder vulgärer Begriffe.
  • Formatierung: Übertriebener Einsatz von Großschreibung oder Satzzeichen.
  • Metapher: Bildliche Beschreibung von anzüglichen, verstörenden und unglaublichen Dingen.
  • Weiterleitung: Angekündigter Inhalt nicht auf Zielseite, weitere Klicks notwendig.
  • Ambiguität: Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten.
  • Irreführung: Faktisch falsche Überschrift.

“information gap” und “curiosity gap”

Die psychologischen Theorien hinter der Funktionsweise solcher zum Klicken und Weiterlesen animierenden Überschriften wurden bereits 1994 von Löwenstein formuliert. Dabei geht er von einem sogenannten “information gap” bzw. “curiosity gap” aus.
Menschen empfinden eine Wissenslücke als unangenehm und versuchen diese so schnell wie möglich aufzulösen. Befindet sich die Wissenslücke in einem High Involvement Bereich wird sie als noch unangenehmer erlebt, und die daraus resultierende Neugier und Motivation diese Lücke zu schließen, steigt.

Menschen empfinden eine Wissenslücke als unangenehm und versuchen diese so schnell wie möglich aufzulösen. Befindet sich die Wissenslücke in einem High Involvement Bereich wird sie als noch unangenehmer erlebt, und die daraus resultierende Neugier und Motivation diese Lücke zu schließen, steigt.

Nach Löwenstein (1994) ist dieser Neugier umso größer je (siehe auch Appel, 2020, S.72):

  • mehr Informationen eine Person bereits hat.
  • mehr Potenzial zur Schließung der Wissenslücke einem Informationsobjekt zugeschrieben wird.
  • direkter und einfacher die Informationslücke geschlossen werden kann.
  • eher eine vorangegangene Erwartung verletzt wurde.
  • eher nur jemand anderes eine Information besitzt.
  • mehr Feedback man über Informationslücken im eigenen Wissensstand erhält.

Fake News verbreiten sich sechsmal so schnell wie die Wahrheit

Laut einer großen Studie am MIT (Massachusetts Institute of Technology) verbreiten sich Fake News schneller und dringen tiefer in die sozialen Medien ein als die Wahrheit.
Die Forscher fanden heraus, dass die wahren Geschichten sechsmal so lange brauchten, um 1.500 Menschen auf Twitter zu erreichen, als Fake News. Sie fanden auch heraus, dass Fake News mit einer um 70% höheren Wahrscheinlichkeit retweetet wurden (Vosoughi, S., Roy, D. & Aral, S, 2018).

Gründe:

  • Fake News sind oft überraschender, unkonventioneller.
  • Sie entsprechen eher den aktuellen Werten der Zielpersonen als reale Fakten.
  • Sie werden häufig vereinfacht (z.B. Donald Trumps Tweets), um eine höhere Wirkung zu erzielen (z.B. visuelle Sprache der Comics).

Die Forscher fanden heraus, dass die wahren Geschichten sechsmal so lange brauchten, um 1.500 Menschen auf Twitter zu erreichen, als Fake News.

Es gibt dabei ein ständiges Wettrüsten zwischen narratives und counter narratives, um die Meinung des Publikums zu ändern.

Neuronale „Programme“ als Grundlage der Wirksamkeit von Clickbaits & Fake News

Sowohl Clickbaits als auch Fake News bauen auf den kollektiven, daher bei allen Menschen grundsätzlich vorhandenen, Gehirnmodulen auf, die sich im Laufe der Evolution als „Programme“ zur Anpassung an die Herausforderungen des Lebens und Überlebens gebildet haben: (siehe auch Sawetz, 2019)

  1. automatisches Scannen: der Welt nach Informationen für Chancen und Risiken. Wir sind als „Neugier- und Angst-Wesen“ geboren.
  2. negativity bias: Zuerst wird immer nach möglichen Risiken und Gefahren gecannt. Ungewöhnliches, Regelbrüche und Überraschendes signalisiert in erster Linie mögliches Risiko und aktiviert damit unser Angstmodul, das dadurch höhere Aufmerksamkeit und stärkere Emotionen erzeugt. Medien machen sich das immer schon zunutze: „only bad news are good news“. So weiß man aus psychologischen Experimenten, dass die Emotion beim Verlieren von 10 Dollar doppelt so stark ist wie beim Finden von 10 Dollar. Objektiv gäbe es keinen Unterschied – es sind immer 10 Dollar. Unser Gehirn ordnet aber negativen Erlebnissen einen höheren Impact zu, damit sich dieses negative Erlebnis schnell und stärker in unser Gedächtnis einprägt, damit wir denselben Fehler nicht mehrmals machen.
  3. loss aversion: Wir haben eine angeborene Furcht vor Verlusten oder etwas zu versäumen. So wird unser bisheriges Investment an Zeit und mentaler Energie zur Benchmark für den Wert der Information, mit der wir uns auseinandersetzen.
  4. sunk cost fallacy: Sobald wir mentale Energie und Zeit in die Auseinandersetzung mit einem Nachrichteninhalt investiert haben, sind wir automatisch motiviert, dabei zu bleiben bis unsere Neugier befriedigt ist. Denn ein frühzeitiges Wechseln zu anderen Inhalten würde unser bisheriges „Investment“ an Zeit und mentaler Energie entwerten. Aus demselben Grund bleiben z.B. Aktienanleger auch dann noch investiert, wenn die Kurse stark fallen. Denn bei einem Ausstieg aus diesen Veranlagungen würden sie ihren Verlust realisieren. Oder lassen ihr Auto auch über den aktuellen Zeitwert reparieren: „throwing good money after bad.“
  5. FOM – fear of missing out: Die Angst etwas verpassen zu können. Besonders stark ausgeprägt in den sozialen Medien. Je grösser die Vielfalt und Bandbreite von Angeboten und möglichen Erlebnissen, desto größer die innere Unruhe, die durch FOM ausgelöst wird.
  6. Mentale Entlastung = positive Emotion: Ein Basis-Programm des Gehirns ist der „Energiesparmodus“. Unser Gehirn ist das Organ in unserem Körper, das die meiste Energie konsumiert: 20mal so viel wie ein gleich großer Muskel. Deshalb gibt es eine Koppelung zwischen niedrigem Energieverbrauch und positiver Emotion über die Aktivierung unseres Belohnungszentrums. Alles was leicht, einfach und schnell geht, bringt damit automatisch positive Emotionen. Damit sind wir motiviert mentale Energie zu sparen, was in unserer Evolutionsgeschichte einen Vorteil brachte, weil nicht immer ein Supermarkt nebenan war, um den Kalorienbedarf jederzeit decken zu können. Das Gehirn vermeidet so über dieses Ökonomiegesetz anstrengende Informationsverarbeitung. Bildreiche Information wie in den Boulevard-Medien macht unserem Gehirn damit grundsätzlich mehr „Spaß“ als lange, anstrengende Textwüsten der meisten Qualitätsmedien.
  7. confirmation bias und selective exposure: Wir nehmen bevorzugt Informationen wahr, die unsere aktuellen Werte, Einstellungen und Meinungen bestätigen, denn diese Bestätigung erzeugt positive Gefühle. Soziale Medien steuern in ihrem Ökosystem über ihre Algorithmen die Zurverfügungstellung von Informationen nach diesem Prinzip, was Ihnen eine stärkere Bindung zu den Usern und höhere Nutzungsdauer sichert.

Mediale Inhalte, die die eigenen Werte, Überzeugungen, Einstellungen und Meinungen bestätigen, erzeugen damit automatisch ein positives Gefühl.

Mediale Inhalte, die die eigenen Werte, Überzeugungen, Einstellungen und Meinungen bestätigen, erzeugen damit automatisch ein positives Gefühl.

Diese selektive Auseinandersetzung mit sich selbst bestätigenden Inhalten stellt die Basis der “selective exposure theory” dar. Eine Konsequenz der selektiven Informationsaufnahme ist die „Verhärtung“ der eigenen Einstellungen und Meinungen und damit eine gewisse Immunität gegenüber kontradiktorischen oder auch nur leicht differierenden Meinungen.

Soziale Medien instrumentalisieren diese Tendenz zur selektiven Informationsaufnahme, indem sie den Rezipienten gezielt die Möglichkeit einräumen, sich nur mit diesen Personen und diesen Inhalten auseinanderzusetzen, an denen sie interessiert sind und die demnach ihre Einstellungen und Meinungen teilen.

Das Resultat sind zwei Effekte:

  • erstens die Reduktion kognitiver Dissonanz (negative Gefühle z.B. wegen Widersprüchen zwischen eigenen Meinungen und Handlungen sowie medialen Informationen) und damit Erhöhung des subjektiven Wohlbefindens und
  • zweitens der Zerfall der Gesellschaft in einzelne, immer stärker voneinander abgetrennte, soziale Gruppen, die sich nur mehr innerhalb dieser kleinen Gruppen durch gleiche Interessen, Einstellungen und Meinungen miteinander verbunden fühlen und vernetzen.

In den digitalen Medien und nicht nur in den sozialen Medien sorgt die heute sehr tiefgehende Personalisierung durch ein immer elaborierteres Profiling dafür, dass durch Algorithmen gesteuert, Rezipienten die Inhalte erhalten, die im Sinne der “selective exposure theory” ihr Wohlbefinden erhöhen und damit die Bindung zu dem jeweiligen Medien-Kanal stärkt.

Damit ist die selektive Informationsaufnahme als eine Basisfunktion unserer Informationssuche die Ausgangsbasis für das Ökosystem von sozialen Medien wie z.B. Facebook. Der wirtschaftliche Erfolg dieser Plattformen hängt direkt mit der Zahl der Nutzer, ihrer Nutzungsdauer und Nutzungshäufigkeit zusammen. Je mehr positive Gefühle in den Rezipienten erzeugt werden können, desto länger und öfter sind sie auf diesen Plattformen und desto mehr personalisierte Werbung kann an diese Personen ausgespielt werden und desto größere Wirkung haben diese Werbe-Appelle dann auch.

Das heißt, der wirtschaftliche Erfolg hängt direkt damit zusammen, ob diese Medienkanäle ihrem Publikum das bieten können, wonach es sucht. Letztendlich sind das positive Gefühle. Im Sinne der “selective exposure theory” entstehen diese positiven Gefühle durch eine Konformität der eigenen Einstellungen und Meinungen mit den über diese Medienkanäle präsentierten Einstellungen und Meinungen. Je genauer die über Algorithmen gesteuerten Social Media Plattformen auf das Einstellungsprofil ihres Publikums eingehen können, desto stärker können diese positiven Gefühle erzeugt werden.

Das heißt, der wirtschaftliche Erfolg hängt direkt damit zusammen, ob diese Medienkanäle ihrem Publikum das bieten können, wonach es sucht. Letztendlich sind das positive Gefühle.

Mit der laufenden immer genauere Daten-Sammlung über die Vorlieben, Interessen, Einstellungen, Meinungen und auch Persönlichkeitsprofile der User kann ein immer genaueres Targeting nicht nur der Werbeinhalte sondern auch der über diese Plattformen zur Verfügung gestellten Inhalte durchgeführt werden. Je individueller auf die einzelne Person eingegangen werden kann, desto stärker werden diese Effekte der Konsistenz zwischen Medieninhalten, Einstellungen und Persönlichkeitsprofil.

Das gesamtgesellschaftliche Ergebnis dieser Entwicklung ist ein Zerfall in viele, sehr kleine, in sich homogene Gruppen, die gleiche Meinungen, Einstellungen und Werte und damit die gleiche Weltsicht teilen und sich nach gruppendynamischen Effekten auch immer stärker von Gruppen, die ihnen unähnlich sind, abgrenzen.

Eli Pariser hat 2011 dafür den Begriff “filter bubbles” geprägt. Ein mit den “filter bubbles” eng verwandter Effekt ist der sogenannte “Echo Chamber Effect”. Auch er thematisiert dieses Einschwören einer Gruppe von Personen über gleiche mediale Inhalte auf ganz spezifische Werte, Einstellungen und Meinungen durch die laufende Bestätigung ihrer Sichtweisen durch ihre Peergroup.

Aktuelles Fachbuch zu diesem Thema:

Sawetz, J. (2019). Kommunikations- und Marketingpsychologie. Grundlagen kommunikativer und persuasiver Prozesse aus Psychologie, Neurowissenschaften, Evolutionsbiologie, Systemtheorie und Semiotik. Wien. (656 Seiten, zahlreiche Tabellen und Checklists, umfangreiches Literaturverzeichnis: www.sawetz.com)

Referenzen:
Alves, L., Antunes, N., Agrici, O., Sousa, C. M., & Ramos, C. M. (2016). Clickbait: You won’t believe what happens next! Fronteiras: Journal of Social, Technological and Environmental Science, 5, 196–213.

Appel, M. (2020). Die Psychologie des Postfaktischen: Über Fake News, „Lügenpresse“, Clickbait & Co. Berlin: Springer.

Biyani, P., Tsioutsiouliklis, K., & Blackmer, J. (2016). “8 Amazing secrets for getting more clicks”: Detecting clickbaits in news streams using article informality. In D. Schuurman & M. Wellman (Hrsg.), Proceedings of the 30th AAAI conference on artificial intelligence (S. 94–100).

Blom, J. N., & Hansen, K. R. (2015). Click bait: Forward-reference as lure in online news headlines. Journal of Pragmatics, 76, 87–100.

Lai, L., & Farbrot, A. (2014). What makes you click? The effect of question headlines on readership in computer-mediated communication. Social Influence, 9, 289–299.

Loewenstein, G. (1994). The psychology of curiosity: A review and reinterpretation. Psychological Bulletin, 116, 75–98.

Vosoughi, S., Roy, D. & Aral, S. (2018). The spread of true and false news online. Science, Vol. 359, Issue 6380, pp. 1146-1151

Pariser, E. (2011). The Filter Bubble: What the Internet Is Hiding from You. New York: Penguin Press

Sawetz, J. (2019). Kommunikations- und Marketingpsychologie. Grundlagen kommunikativer und persuasiver Prozesse aus Psychologie, Neurowissenschaften, Evolutionsbiologie, Systemtheorie und Semiotik. Wien.

Zannettou, S. & Caulfield, T. & De Cristofaro, E. & Sirivianos, M. & Stringhini, G. & Blackburn, J. (2018). Disinformation Warfare: Understanding State-Sponsored Trolls on Twitter and Their Influence on the Web. researchgate.net.

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Verfasst von

Univ.-Lekt. Mag. Dr. Josef Sawetz

Kommunikations- und Marketingpsychologe an der Universität Wien